24. April 2024
Wenn ich an dich denke, wird mein Herz weit.
Und warm.
Viele können sich das nicht vorstellen, dass sich nach dem Tod des eigenen Kindes das Herz weiten kann.
Ich wünsche es niemandem ein Kind zu verlieren. Keiner Mama, keinem Vater, keinem Geschwisterkind, keinem Freund der Eltern oder anderen Eltern aus dem Kindergarten, der Schule oder der Nachbarschaft.
Denn es ist ein schwerer Weg.
Ein einsamer und oftmals dunkler Weg.
Mein Weg hat mich Kraft gekostet.
Er hat mich viel Energie gekostet, mit dem Nachsinnen und Nachforschen, weshalb geschwiegen und weggeschaut wurde. Weshalb niemand meiner KollegInnen nur ein einzige Wort schreiben, sagen oder was auch immer konnten.
Das war anstrengend, schmerzvoll und vor allem in unvorhergesehenen Begegnungen hart und peinlich, manchmal zutiefst beschämend.
Weil der Tod ja zwischen uns stand, dieses tragische Unglück, was in aller Munde war, in den Zeitungen stand. Und es wurde viel geredet, über uns, über das plötzlich Tragische und Unvorstellbare, das Drama und dass die ganze Stadt unter Schock stünde.
Wir haben davon nichts mitbekommen. Nicht als es für uns heilsam gewesen wäre, zu wissen, dass jemand Anteil nimmt, eine Kerze anzündet, mit den Kindern darüber spricht, betet und uns segnet oder an uns liebevoll denkt.
Es war für mich ein Weg mit vielerlei Verlusten.
Neben dem Verlust meiner Tochter, den jungen Menschen, die als Dreierseilschaft in den Bergen am Eisgrat abstürzten, war es der Verlust meines bisherigen Lebens.
Des „normalen“ Lebens.
Eines Lebens, was mich als Mitglied einer Gesellschaft, eines Menschen mit Bekanntheitsgrad und Ansehen und somit Teil einer großen Gruppe an Gleichgesinnten im therapeutischen, sozialen, psychologischen und helfenden Gesundheitsbereich sein ließ.
Das brach komplett weg.
Ich verstand es nicht, nicht in meinem Herzen.
Analytisch und psychologisch konnte ich es nachvollziehen.
Wie oft hatte ich nach einer Begegnung die klaren Gedanken, was ich jemandem geschrieben und gesagt hätte, wäre das Kind von ihr oder ihm gestorben.
Ich lebte und lebe damit.
Im Schmerz der Trauer, dem Ewigen im Tod, war oft Wut und Groll auf das Verhalten des Wegschauens und Schweigens.
Das verursachte in mir eine ungleich stärkere Enge und Düsternis, als wenn ich diese Liebe spürte, die so weh tat, weil das Gegenüber nicht irdisch erreichbar war.
Es hat gebrodelt, es hat mich bekümmert, ich war frustriert, ich habe mich sogar betrogen gefühlt von anderen und enttäuscht.
Meine Sehnsucht lag darin, von anderen gesehen zu werden, in meinem Schmerz, meinem Verlust, meiner Trauer.
Mir wurde klar, dass ich niemanden in seinem Verhalten ändern kann, sonder allein in mir diese Gefühle aufflammten und ich damit einen Weg finden würde.
Mir war selbstverständlich klar, dass meine Gefühle vom Ego gesteuert waren, dieses große, aufgeblähte Ego, das ich durch meine Funktionen in dieser Sparte hatte groß werden lassen.
Als wäre es eine Schande, das gerade mir das mit dem toten Kind geschieht, keinem anderen von jenen, die Schwiegen.
Ich habe ein weites Herz, weil es immer wieder bewusst gedehnt wurde in diesem Schmerz.
Es wurde wie ein Muskel trainiert.
Ich habe alles und alle in mein Herz hineingelassen. Alle Menschen mit ihrem Verhalten, alle Gefühle, die von mir und von anderen.
Ich habe es brennen und dampfen lassen, ausgehalten und da sein lassen wie es war.
Das hat mich weich gemacht. Und weit.
Jetzt hat viel Leichtigkeit in meinem Leben Platz, Liebe, Natur, Regenbögen, Federn, Blumen, Stille, Musik und all das Leid in der Welt, was überall herrscht.
Mir wird immer wieder bewusst, wie gut es mir geht, wie reich ich bin, wie beschenkt vom Leben, vom Sein, von der Schöpfung, von Menschen, die mir nahe stehen und viel bedeuten.
Freunde, die heute ganz andere sind als damals, vor Leonies Tod und vor der Panik in den letzten Jahren in der Menschheit vor Krankheit und Gewalt.
Dass ich in mir ruhe, in mir gelassen bin, weich und offen.
Ich weiß nicht wirklich wie es in der Welt aussieht.
Wer weiß es denn?
Kein Radio, kein TV, kein Mainstream, keine Gespräche über politische, kriegerische Themen.
Frieden kann in uns heilsam sein. Und in der Welt. Jeder für sich kann in Frieden und in Stille sein.
Dieser feinen, weichen, weiten Stille, die wie ein Tautropfenmorgen auf der Wiese ist oder der Sonnenuntergang am Waldrand. Wie die Stille an einem kleinen See mit den natürlichen Geräuschen und Düften.
Die Stille mit meinem Mann am Tisch nach dem Essen, die Kerze, das Wohlgefühl satt zu sein und sich gut zu fühlen, nicht nur von der Nahrung genährt, sondern vom Augenblick des Seins.
Wenn ich an euch denke, wird mein Herz weit und warm.