15. März 2024
Ein einziger Tag. Spontan.
Ein Ausflug mit Kunst-Charakter nach Hamburg.
Ich bekam eine günstige Rückgabe-Konzert-Karte für die Blues-Rock-Nacht in Hamburg.
Mitfahrgelegenheit nach Hamburg war schnell gefunden. Und diese Fahrt war wie fliegen, mit drei jungen Männern im Auto, die schon von Stuttgart an unterwegs waren und mich in Fulda aufnahmen.
13 Uhr war angedacht am Hamburger Hauptbahnhof anzukommen, doch wir waren, trotz dem starken Regen der kurz hinter Hannover vom Himmel kam, um 10:50 Uhr am Ziel.
Ich bekam nach nicht mal 30 Minuten meine Konzert-Karte und es war ein freundliches Gespräch mit der lieben Frau, die sie mir an das Portal des Hauptbahnhofs brachte. Wegen einer anderen Veranstaltung am selben Abend, die ihr Sohn seinen Eltern zu Weihnachten geschenkt hatte, wollte sie nicht zum Blues-Abend, die zweite Karte hatte sie einem Arbeitskollegen vermacht. Da wusste ich bereits, dass ein Mann neben mir in der 6. Reihe sitzen würde.
Auf dem Weg aus dem Bahnhof Richtung meinem Ausflugsziel, sah ich die Ausstellung zum Gedenken an Caspar David Friedrich’s 250. Geburtstag ~ „Kunst für eine Neue Zeit“, die in den riesigen Museums-Gebäuden stattfindet und ging dort freudig die großen Stufen hinauf.
Ich hatte Zeit und bewundere die Werke dieses Künstlers, von dem ich einige Bildbände kenne (er war der bedeutendste Maler, Zeichner, Graphiker der deutschen Frühromantik, seine Gemälde zeigen stimmungsvolle Sonnenuntergänge, nebelverhangene Gebirge, Landschaften am Meer, Mondscheinbilder u.v.m ). Ich las früher Gedichtbände von Dichtern der Romantik, die sich von seinen Bildern haben inspirieren lassen und Biographien über Caspar David Friedrich. Jetzt zu seinem 250 jährigen Geburtstag kamen einige neue Bücher auf den Markt. An der Ticketkasse wurde ich gefragt, ob ich das nicht gelesen hätte und der freundliche Mensch mit Anzug und längeren Haaren zeige auf die roten Großbuchstaben…. „Ausstellung bis 1. April komplett ausverkauft“. Äh, nein, hatte ich in meiner Euphorie nicht gelesen. Die Ausstellung geht auch nur bis 1. April.
Ich fragte, ob es eine Warteliste gäbe, für die Zeitfenster, in der Führungen stattfinden und Zeiten zum Begehen der Museums-Häuser mit je drei Stockwerken. Nein. Ich merkte an, dass nicht alle 700 Menschen in je zwei Stunden-Zeitfenstern erscheinen würden, da Leute erkranken oder sterben könnten oder sich verspäten. Der nette Mann lächelte und meinte, dass ich Recht hätte, doch eine Warteliste würden sie nicht führen. Ich könnte allerdings warten, es käme vor, dass jemand ein Ticket zurück gäbe. Ich saß noch nicht auf einem der großen, blauen Sofas in der Wartehalle, da war das Ticket für mich schon da. Wir lächelten beide bis über beide Ohren.
Es war ein Ticket ohne Führung, für das ich nach wenigen Minuten überaus dankbar war, denn es ist für mich wichtig autonom hierhin und dorthin zu wandern, um mir das anzusehen, was ich gerade möchte. So riesige Räume, eine Hitze, Lautstärke von vielerlei Geräuschen und den redseligen Menschen, das ermüdet nach einiger Zeit. Es war wundervoll, eine unbändige Masse an Kunst, u.a. von 20 neueren internationalen Künstlern, mit Gemälden, Skulpturen, Plastiken, doch auch in Form von Videos, Fotografien und raumgreifenden Installationen.
Danach war ich dankbar für die klare, kühle Luft beim Gehen an der Innen-Alster entlang um mich vor ein Cafè in die Sonne zu setzen und diese besondere Zeitfalte meines Lebens in einer fremden Stadt zu genießen.
Seit Leonies Tod geht es mir in anderen Städten und Orten, an denen mich niemand kennt viel besser als hier in den kleinen Orten der Umgebung, wo kaum ein Aufenthalt mit einer Begegnung möglich ist, die mir Stiche versetzt, weil ich spüre, dass der tragische Tod von Leonie, Simon und Stefan eine Kluft zwischen mein altes Leben und das Leben seit dem 3. August 2017 gepflügt hat. Ich bin dann sofort mit unsicheren, beschämten oder mitleidigen Blicken konfrontiert, mit Menschen, die so tun, als würden sie mich nicht sehen oder nicht kennen. Es hat sich in den Jahren nicht viel daran verändert.
Und in einer anderen Stadt zu sein, an Orten, an denen mich niemand kennt, ist für mich ein Aufatmen, eine Befreiung, eine Freude.
Zu meinem Geburtstag vor zwei Wochen sind mein Mann und ich mit dem Zug ans Ligurische Meer nach Italien gereist. Ein Landstrich, der mir letztes Jahr innerhalb von zwei Wochen von drei Menschen genannt wurde. Es hat mich bei jeder dieser Personen sofort in den Bann gezogen. Das Meer auf der einen Seite, die Berge auf der gegenüberliegenden Seite mit üppiger Natur, den unterschiedlichsten Bäumen, Südfrüchten und Gestein fasziniert mich.
Es gibt für mich keinen ‚Zufall‘, es ist etwas, was mir auf meinem Weg gezeigt wird, was ich als Hinweis, als Geschenk für mich nutzen kann. So war unsere Reise an einen Ort, den ich vorher nicht kannte eine grandiose Erfahrung mit vielerlei Erlebnissen.
Und Leonie ist mir in diesen Situationen immer besonders nah. Reisen war ihre Passion, all ihre Ausflüge, Abenteuer und Reisen mit Simon. Sobald ich unterwegs bin, ist sie an meiner Seite.
Die Musik, vor allem die Musik des Blues und aus der Zeit, als wir jung waren, ist eine Verbindung zu Jago, meinem früheren Mann. Immer ist er da, schon bevor ich mich dazu entschließe, und ich spüre eine Motivation, fast einen Drang, zu einem Konzert zu gehen, bei der diese Art Musik gespielt wird, die wir beide, seit wir uns kennenlernten in 1979, geliebt haben. So war es auch an diesem Tag, ebenso in der Ausstellung, bei bestimmten Bildern spürte und hörte ich ihn ganz besonders intensiv neben mir.
Beim Konzert, was außergewöhnlich tief ging, mit den begnadeten, charismatischen Musikern und ihrer Musik, die sie uns rund 1000 älteren Menschen im Saal schenkten. Ich war erst überrascht, dass das Durchschnittsalter der Besucher mindestens um die 60 zu sein schien. Doch ja, sicher, wer liebt und hört diese Musik, die ihren Ursprung in Zeiten hat, die die heutige Generation an jungen Menschen nicht wirklich rockt!
Es war ein herrlicher, langer Abend und mein Sitznachbar, der die zweite Karte bekommen hatte, begleitete mich nachts durch den Park bis in die Nähe des Hotels. Ich glaube, dass es an diesem Abend ausschließlich glückliche Menschen gab.
Ich war es bis in die Zellen hinein und bin es auch heute noch.
Meine Rückreise mit der Bahn, da es keine perfekte Mitfahrgelegenheit zurück nach Fulda gab, war: na ja … der Zug, den ich normalerweise nicht mehr bekommen hätte, hatte Verspätung und ich freute mich, dass ich mit diesem schon nach Hause fahren konnte. Doch nach mehr als 35 Minuten Wartezeit an einem vollen Bahnsteig mit vielen Familien, Kleinkindern, Kinderwägen etc., kam die inzwischen fünfte Durchsage, dieses Mal, dass der Zug gar nicht fahren würde.
Was für eine Enttäuschung für viele der Wartenden, ein Gerenne und Geschimpfe.
Ich buchte dann den Zug, der regulär die Stunde danach fuhr, der hatte zwar ebenso Verspätung und es musste zweimal das Gleis in HH-Harburg gewechselt werden, doch ich war allein und frei, neben all den hektischen Eltern, ängstlichen Kindern, Wägen, Skiausrüstungen, Koffern.
Ich fühlte mich gesegnet, so entspannt nur für mich schauen zu brauchen, nicht wie all die gestressten Menschen, Alte, Gehbehinderte und die Familien, die sich einen schönen Ferienbeginn mit Urlaubszielen im Süden oder den Bergen Österreichs oder der Schweiz zum Skifahren geplant hatten.
In diesen Situationen spüre ich tiefe Dankbarkeit für mein derzeitiges Leben, meine Gelassenheit, mein Alter, meine Freiheit und Unabhängigkeit und meine Freude an all den Erlebnissen, für die ich offen bin, Erfahrungen, Staunen und den Spaß dabei.
Es gibt definitiv traurige Momente in mir, die jedoch selten mit Leonies Tod oder dem Tod von Menschen zu tun haben, die ich übermäßig liebe.
Diese „Toten“ sind lebendig in mir, durch mich und mein Leben.
Das was mich traurig stimmt, ist mein eigenes Zögern und Hadern, mein Nein zu manchem, was ich im Leben viel lebendiger und freudvoller gestalten könnte.
Es sind die Kriege auf jedem Kontinent der Erde, das Leid, die von Menschen gemachte Gewalt und Zerstörung, die Spaltung in der Welt, in der Menschheit.
Unser Zukunft liegt im verbinden und verbunden SEIN.
In jedem Bereich unserer menschlichen Ebenen.
Solange ein einziger Mensch sich nicht frei bewegen, sprechen, beten, lernen, leben kann, werde ich traurig sein.
Die Verbindungen knüpfen wir.
Den anderen Menschen sein zu lassen, wie er ist, ohne ihn verändern zu wollen, ohne zu be- oder verurteilen, bringt Nähe und Bewusstheit.
Die Natur, Bäume, Wasser, Erde, den Himmel, Tiere als gleichwertig und heilig anzusehen weitet unser Herz und lässt uns Liebe in großem Maße in die Welt tragen und heilen.