Sechs Jahre ist es her ...

31. Juli 2023

 

Es gibt viel Trauriges in der Welt und viel Schönes.

  Manchmal scheint das Traurige mehr Gewalt zu haben, als man ertragen kann,

  dann stärkt sich indessen leise das Schöne und berührt wieder unsere Seele.
                                                                                                           Hugo von Hofmannsthal

 

Heute, genauso ein Montag wie vor 6 Jahren, als das Herzberg-Festival zu Ende und abgebaut war, kamen Leonie und Simon, nach dem sie dort 6 Tage gearbeitet haben.

 

 

Heute vor 6 Jahren waren sie das letzte Mal hier, die letzten Stunden, lachen, zusammen essen, erzählen, Wäsche waschen und trocknen (2017 war es ein sehr matschig-regnerisches Festival!), packen, noch dies und das mitgeben und der Abschied … diese unvergessliche Umarmung, als die beiden rechts und links so nah an mir standen und ich ihre Herzschläge in einem erstaunlichen Gleichklang spürte und hörte. Das war magisch.

 

„Mama, wir passen schon auf“ sprach sie an meinem Ohr und ich sagte dennoch zu ihnen, wie jedes Mal, wenn sie abreisten: „Wenn ich euch nicht mehr wiedersehen sollte, wisst das meine Liebe und mein Segen ewig ist“.

 

Ewig.

 

Schon sechs Jahre Ewigkeit.

 

Sechs Jahre ohne sie, denn obwohl sie aufpassten, auf dem Eisgrat zum höchsten Berg der Schweizer Alpen, geschah diese Tragödie, der Fall in ihrer Dreierseilschaft.

 

Andere Bergsteiger - Hochalpinisten, Bergführer - beobachteten es. Niemand konnte es verhindern.

 

Es geschah.

 

Gottes Wille geschah einfach.

 

Einfach so.

 

Nichts gab es daran zu rütteln.

 

Und da lagen diese drei Körper mit verstreutem Gepäck, 600 Meter am Eis und Bergmassiv zerschellt, bis am nächsten Tag ihre leeren Körper in stundenlanger Mission geborgen wurden und Leonies und Simons Leichnam 3 ½ Wochen vor Ort im Spital Graubünden ruhten, bevor sie gemeinsam eingeäschert wurden. Der Körper ihres Freundes wurde am Tag nach der Bergung abgeholt und einige Tage später am Friedhof seines Heimatortes begraben.

 

Wir haben sein Grab vor zwei Jahren besucht, nachdem wir von diesen ganz speziellen, hohen Schneebergen kamen. Ein schönes, individuell gestaltetes Grab, mit eingraviertem Portrait und einem Berg. Die Eltern des Jüngsten aus der Dreierseilschaft, damals 21 Jahre, gehen täglich, in den ersten Jahren sogar öfter am Tag, an dieses Grab.

 

Seit ich das Grab meiner Schwiegereltern pflege, die beide innerhalb von 5 Wochen vor fünf Monaten hier am Dorffriedhof begraben wurden, bin ich jedes Mal dankbar und froh, dass Leonies und Simons sterbliche Überreste auf duftender, unberührter Erde frei ausgestreut werden konnten. Dankbar, wie wir unseren Abschied vom Vergänglichen haben begehen durften. Wenn meine Seele den Körper verlässt, möchte ich ebenso kein Grab, keine Urne, keine Kirchenlieder und formale Ansprachen. Jede Seele ist frei und erhaben über alle Rituale, die jemals von Menschen begangen wurden und gewiss für viele Menschen ein Segen sind. Jede Seele weiß, dass sie niemandem gehört und niemals jemandem gehört hat, außer der Schöpfung, dem Göttlichen, Ewigen selbst. Unser Leib ist menschlich und vergänglich, eine Manifestation des Göttlichen, Tempel der endlosen Seele. Das zu begreifen hat einige Jahre meines Menschenlebens gedauert.

 

Als Menschenleib bin ich täglich verpflichtet mir selbst gut zu sein, mich gesund zu nähren, gesund und großmütig zu denken, frei zu wählen, was meine Wahrheit ist und wie ich dienen kann, helfen, anderen beistehen, gutes tun kann für die Erde und alle ihre Geschöpfe und wie ich meinen Körper, im Gott bestimmten Moment, dankbar und möglichst gesund verlassen kann.

 

Die Trauer um Leonie und Simon ist zu diesen besonderen Anlässen ziemlich stark spürbar. Ich weine oft, es tut weh. Ich bin gerne still und lenke mich bewusst nicht ab. Ich will präsent sein für das Irdische. Denn dies ist irdisch, menschlich und mit so viel emotionalem Ballast und Erfahrungen durchdrungen, was auf Seelenebene nicht existiert.

 

Dieses Wissen hilft mir, es ganz fühlen zu wollen und es durch mich durchfluten zu lassen. Denn jeder dieser schmerzvollen Momente wird enden, es wird nachlassen, wenn ich mich einlasse. Nach dem Schmerz ist da die heilsame, gute Liebe, die alles annimmt, die schönen Erinnerungen und das Tragische, was bleibt. Kein Drama, was mich ein Leben lang zum Opfer von ihrem Tod macht.

 

Dankbarkeit für das, was gerade ist und das Gute und Großartige was gewesen ist und Neugeboren wurde.

 

Meine älter werdenden Söhne, die größer werdenden Enkelkinder, das fortgehen von dieser Welt von jenen, für die es Zeit ist – ob alt oder jung, krank oder voll und gesund im Leben stehend – wir wissen nie, wann unser letzter Atemzug sein wird. Es kann in zwei Stunden, vier Tagen, 10, 30 oder mehr Jahren sein.

 

Bewusst und dankbar möge es für mich geschehen, darum bete ich.

 

Morgen reisen wir zu den Bergen, diesmal nicht zu den Bernina Bergen, sondern nach Österreich ins Pitztal, da sollen rundherum Berge sein, grüne Täler, Seen und gute Luft.

 

Ein Todestag ist immer ein besonderer Tag. Für mich und meinen Mann ist es heilsam, an einem schönen, ruhigen Ort in der Natur zu sein. Natur haben sie über alles geliebt und durften an einem wunderbaren Ort diese Welt verlassen.

 

 

Mitakuye Oyasin